“DAS ATELIER IST ZWISCHEN DEN MENSCHEN”

Interview Johannes Wiek mit David Hornemann v. Laer

Am 12. Mai 2021 ist es 100 Jahre her, dass Joseph Beuys in Krefeld geboren wurde. Vieles, wofür der Aktivist für Demokratie und Ökologie, der Weltverbesserer und Mitbegründer der Grünen Impulse gegeben hat, erscheint heute noch aktuell, weshalb es sich lohnt, sein Wirken in den Blick zu nehmen. Wir haben David Hornemann von Laer gefragt, was das Wichtigste ist, dass Beuys in Hinsicht auf unser Thema Vernetzung und Verbindung in die Gedanken-welt und Gesellschaft gebracht hat.

Erklär uns, was Beuys mit „Das Atelier ist zwischen den Menschen“ meint.
Formuliert hat das Beuys während einer Podiums-diskussion mit dem Autor Michael Ende über das Thema „Kunst und Politik“ im Februar 1985. Es bringt zum Ausdruck, dass Künstlerisches auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen stattfindet und nicht mehr nur in der Zurückgezogenheit eines Ateliers. Das heißt aber auch, dass die Kreativität nicht mehr nur im Verborgenen, sondern im Zwischenmenschlichen eine Rolle zu spielen beginnt. So ergeben sich neue Verbindungen und Berührungspunkte mit der Kunst. Nur ein Beispiel: Selbst so etwas Kunstfernes wie eine Stadtverwaltung wurde durch das Projekt „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ in Kassel dazu angeregt, sich auf Neues einzulassen und kreative Lösungen für die Pflanzung und Setzung der 7000 Eichen und zugehörigen Steinstelen zu finden. Das hat Menschen aber auch Angst gemacht wie dem damaligen Wissenschaftsminister und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau, von dem die Worte überliefert sind: „Ich kann und darf mich nicht zum möglichen Kunstobjekt machen lassen“3. Beuys hat also immer wieder Kunst dort stattfinden lassen, wo wir sie am wenigsten erwarten würden. So entstanden immer wieder neue Verbindungen und Verbindungsmöglichkeiten.

Wie ging Beuys vor?
Für Beuys waren alle sozialen und gesellschaftlichen Fragen im Kern Gestaltungsfragen und somit künstlerische Herausforderungen, die jeden Menschen angehen, für die aber auch jeder Mensch selbst Lösungen finden kann. Durch das Ansetzen beim Kunstbegriff und durch dessen Erweiterung und Totalisierung auf das ganze menschliche Leben hin gelang es ihm, ganz neue Ebenen und Verbindungen für die Kunst zu erschließen. So bezog Beuys in seine Kunst nicht nur neue Materialien wie Filz und Fett mit ein, sondern gestaltete auch die Beziehung zu Tieren, zu Pflanzen, zur Natur und zeigte auf, wie der Mensch mit Engeln und Geistern in Beziehung treten kann. Für ihn war der Mensch nur „eine Bodenstation für etwas viel Größeres“ und Kunstwerke „Erdstationen, die etwas aus sich entlassen, was metaphysischen, spirituellen Charakter hat.“

„Ich betrachte Beuys als Konsequenz der Kunstgeschichte.
Er hat das zum Thema gemacht, woraus die einzelnen
Künstler*innen über die Jahrtausende geschöpft
haben:
die Kreativität selbst.“

David Hornemann von Laer

Welche Stellung hat Beuys demzufolge in der Kunstgeschichte inne?
Ich betrachte Beuys als Konsequenz der Kunstgeschichte. Er hat das zum Thema gemacht, woraus die einzelnen Künstler*innen über die Jahrtausende geschöpft haben: die Kreativität selbst. Die Kunst kommt in Beuys in gewisser Weise zu sich selbst, wird sich im Schaffen dieses Künstlers ihrer selbst bewusst. Sie wird menschlich. Das hat weitreichende Folgen, denn wenn das Leben zur Kunst wird, wenn jeder Handgriff, jedes Wort, jede Tat potentiell zu einem künstlerischen Akt werden kann, können wir uns nicht mehr herausreden, sondern sehen uns herausgefordert, alles, was wir tun, künstlerisch, das heißt, exakter, konkreter, lebensvoller, bewusster zu tun.

Wie bist Du zum ersten Mal damit in Berührung gekommen. Wann hat es Dich „gepackt“?
Zum ersten Mal gehört habe ich von Beuys in meiner frühen Kindheit, als Putzkräfte versehentlich ein Werk von Beuys – eine alte Badewanne – reinigten, um sie zum Spülen von Gläsern zu verwenden. Das schlug natürlich große Wellen und führte dazu, dass ich mich für diesen Menschen und seine Kunst zu interessieren begann. In der Staatsgalerie wurde der goldene „Friedenshase“ ausgestellt, dessen Entstehungsgeschichte mich faszinierte, war er doch durch die Umschmelzung einer Kopie der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen von Beuys im Rahmen seiner 7000 Eichen Aktion gegossen worden.

Abschließend nochmal zurück zu der Frage zum Thema unseres Heftes: Inwiefern siehst Du Beuys als Netzwerker?
Beuys ist der Prototyp eines Netzwerkers. Er hat nicht nur mit den unterschiedlichsten Menschen zusammengearbeitet (aus der Politik, dem Bankwesen, aus Unternehmen, der öffentlichen Verwaltung, den Kirchen und weiteren) und in seinem Aufruf zur Alternative vom 23. Dezember 19786 versucht, „alle Menschendes europäischen Kultur- und Zivilisationskreises“ anzusprechen, sondern durch seine Aktionen auch ein umfassendes Netzwerk mit der Tier-, und Umwelt, der Philosophie und Religion, der Wissenschaft und nicht zuletzt mit der Kunstszene geknüpft, das in seiner Vielfalt auch heute noch seinesgleichen sucht.

Was können wir von Beuys heute noch lernen?
Beuys war ja bekanntlich „auf der Suche nach dem Dümmsten“ und hat sich gefragt: „Wo wäre ich hingekommmen, wenn ich intelligent gewesen wäre?“ Das ist konträr zu dem, was wir heute anstreben, wo alles „smart“ und möglichst effizient sein soll. Genauer betrachtet sind es aber oft die Umwege, die auf den ersten Blick nutzlosen Verbindungen, die uns auf neue Ideen bringen und in Prozesse involvieren, die ein innovatives Handeln ermöglichen. Beuys lehrt mich – vielleicht geht es ja anderen auch so – wie sich ein Zauber über das Leben ausbreiten kann, wenn wir erleben, wie durch unser eigenes, künstlerisches Bemühen alles Profane, bloß auf Zwecke, auf Geldverdienen, auf Leistung abzielende Tun sich in etwas Spielerisches verwandeln kann, das Freude macht, das uns zusammenbringt und Künstlerisches zwischen uns entstehen und die Vielfalt der Beziehungen zwischen uns und der Welt sichtbar werden lässt.

JOSPEPH BEUYS ALS NETZWERKER

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Podiumsdiskussion mit dem Autor Michael Ende über das Thema „Kunst und Politik“ im Februar 1985:
youtube.com/watch?v=FBj93f4azCc

Hans Eichel: „Eine geniale Provokation“. In: 7000 Eichen
7000eichen.de/?id=23

Petra Kipphoff : „Der Fall Joseph Beuys: Mancherlei Recht“. In: DIE ZEIT (27. Oktober 1972)
zeit.de/1972/43/mancherlei-recht

Burkhard Reinartz: „Joseph Beuys und die Religion. Auferstehen muss der Mensch schon selbst“. In: Deutschlandfunk (25.12.2019)
deutschlandfunk.de/joseph-beuys-und-die-religion-auferstehen-muss-der-mensch.886.de.html?dram:article_id=466086

Joseph Beuys, Friedenshase, 1982Gold, Edelsteine, Perlen, Schlacke, Stahl-Safe mit Panzerglas, 33,5 x 33,5 x 10,5 cm, Staatsgalerie Stuttgart
staatsgalerie.de/g/sammlung/sammlung-digital/einzelansicht/sgs/werk/einzelansicht/68A7B615417ECFE3E23F1299840BC9B5.html

Joseph Beuys: „Aufruf zur Alternative“. In: Frankfurter Rundschau (23. Dezember 1978)
post.thing.net/node/24447

DAVID HORNEMANN VON LAER

Dr. David Hornemann von Laer, Kunstwissenschaftler und Bildungsforscher, steht in langjähriger Auseinandersetzung mit Joseph Beuys und seinem Werk im Rahmen von Artikeln, Seminaren, Exkursionen. Promotion zu den Sixtinischen Deckenfresken bei Prof. Michael Bockemühl an der Fakultät für Kulturreflexion der UW/H. Initiator und Herausgeber der Buchreihe „Kunst sehen“, in der die öffentlichen Vorträge von Professor Bockemühl, zusammen mit Studierenden publiziert werden.

David Hornemann von Laer schafft Verbindungen zwischen Menschen dadurch, dass er sie gemeinsam dazu bringt, sowohl Kunstwerke als auch die Welt um uns herum ganz anders wahrzunehmen, als wir es gewohnt sind. Durch seine Arbeit hält er zudem die Verbindung zu einem der Begründer des Studium fundamentale lebendig – Prof. Michael Bockemühl.

KUNST SEHEN – BEUYS

Michael Bockemühl wollte nicht wissen, sondern sehen, wie Joseph Beuys, der den ganzen Kunstbetrieb eine Zeit lang in Atem gehalten hat, in seinen Werken und Aktionen vorgeht. Deshalb beginnt er mit den leisen, kleinen, fast beiläufigen Arbeiten des Künstlers und erschließt von hier aus das Potential seiner Kunst, „das noch überhaupt nicht ausgewertet ist und eine ganz neue Färbung hat, einen neuen Charakter bekommen wird, wenn man sich das genauer betrachtet…“.

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info3-verlag.de/kunst-sehen/#bestellung

Der neuste Band über Joseph Beuys erscheint, zeitgleich mit unserem Heft, unter der Leitfrage: IST ÜBER BEUYS IMMER NOCH NICHT ALLES GESAGT?