Anfang der 1990er Jahre veröffentlichte der insbesondere für seinen neoinstitutionalistischen Ansatz bekannte Soziologe Walter W. Powell von der Stanford University einen konzeptionellen, inzwischen längst klassischen Aufsatz über Netzwerke als Organisationsform. Er argumentiert, dass es neben dem Markt und der Hierarchie noch eine weitere, von beidem abgrenzbare Form wirtschaftlicher Aktivitäten gibt: Netzwerke. Sie werden weder primär über Preise noch über Anweisungen gesteuert und liegen auch nicht auf einem Kontinuum dazwischen, sondern sie werden über andere Mechanismen koordiniert: Reziprozität, Reputation und Vertrauen.

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Eine Utopie der
Kooperation!
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Es braucht nicht viel, um sich in diese Organisationsform zu verlieben und sich die Netzwerke rosig auszumalen. Statt kalter Preise und anonymen Wettbewerbs (Markt), statt harter Anordnungen und bürokratischer Routinen (Hierarchie) werden in Netzwerken freiwillig Beziehungen zum allseitigen Vorteil eingegangen. Eine Grundlage hierfür ist Vertrauen, das keinem Kalkül entspringt, sondern Ausdruck von Solidarität und geteilten Werten und Zielen ist. Eine Utopie der Kooperation!
Powells Ansatz ist vor allem institutionell gedacht, nicht primär strukturell, aber auch im Basismodell der Netzwerkanalyse, mit der ein anderer Stanford-Soziologe berühmt geworden ist – nämlich Mark Granovetter – kann man von der gleichberechtigten Verbundenheit träumen. Denn die Netzwerkwelt ist erstmal „flach“: Die Knoten sind auf der gleichen Ebene verbunden, anders als im Markt, aber nicht nur kurz zum Tausch, sondern in Beziehungen. Das fehlende Gefälle ist attraktiv. Man imaginiert, dass sich Akteure mit ähnlichen Interessen vernetzen können, es nicht um Über- oder Unterordnung geht, sondern um die Sache, an der man sich beteiligen kann. Eine Utopie der Gleichheit!

Doch die Netzwerkwelt ist nicht paradiesisch. Sie birgt ihrerseits Konfliktpotenziale, Ungleichheiten (siehe den Text von Günther Ortmann in diesem Heft) und kann ganz schön anstrengend sein, selbst wenn gute Voraussetzungen wie gemeinsame Werte und Ziele gegeben sind. Es gibt in ihnen Spannungsverhältnisse zum Beispiel zwischen Autonomie und Abhängigkeit, Kooperation und Konkurrenz, Vertrauen und Kontrolle, die auszuhalten und immer wieder zu bearbeiten sind. In der Realität finden sich viele verschiedene Formen von Netzwerken mit jeweils eigenen Herausfordungen.

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Doch die
„schöne heile
Netzwerkwelt“
ist nicht
paradiesisch.
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Und dann noch dies: Der Streit (bis heute fortdauernd), ob Netzwerke wirklich als eine ganz eigene Koordinationsform anzusehen sind oder nicht doch als Hybride aus Markt und Hierarchie, wirkt ziemlich müßig, wenn man sieht, dass eigentlich niemand davon ausgeht, dass es diese zwei oder eben drei Formen in der Realität in Reinform geben kann. Schon „Woody“ Powell spricht in seinem den etablierten Dualismus aufbrechenden Netzwerk-Aufsatz von 1990 das „Mischen der Formen“ an. Man muss mithin von pluralen Formen statt Idealtypen ausgehen, also von einer Kombination der Mechanismen Preis, Macht und Vertrauen in realen Organisationen. Keinem dieser drei Mechanismen entkommt man letztlich.

Und jetzt? Dürfen wir Netzwerke trotzdem ein wenig idealisieren? Ja, denn wenn uns jemand einlädt, Teil eines Netzwerks zu werden, dann signalisiert er oder sie damit (hoffentlich), dass intendiert ist, weniger hierarchisch, weniger formal, weniger anonym, nicht nur kurzfristig und konkurrierend, sondern gleichberechtigt und solidarisch zusammenzuarbeiten. Das ist doch schon mal ein Unterschied. Die Wahrheit liegt dann wie immer auf dem Platz und man spielt selbst mit.

Zu diesen und vielen weiteren Fragen lehrt und arbeitet Guido Möllering
in den Studiengängen der Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft
Eine Übersicht der Studiengängen gibt es hier:
uni-wh.de/wirtschaft-und-gesellschaft/#studiengaenge

Walter Powell: „Neither Market nor Hierarchy. Network Forms of Organization“
In: Research in Organizational Behavior 12 (1990), S. 295-336

web.stanford.edu/~woodyp/powell_neither.pdf

Jörg Sydow/Guido Möllering: Produktion in Netzwerken
Make, Buy & Cooperate. Vahlen 2015
vahlen.de/productview.aspx?product=28857