Wozu Universität?

Die Universitäten bilden, aber nicht aus.

Nicht das Abschlusszeugnis ist entscheidend, sondern die Bildung von Wissen, Persönlichkeit, Charakter und Kompetenz im fortlaufenden Gespräch von Forschenden und Lehrenden.

Eine Universität ist einer der seltenen Orte des lang anhaltenden Gesprächs und des Nachdenkens in der Gesellschaft. Das macht ihre Besonderheit aus.

Dieser Ort ist nicht abgehoben, sondern steht inmitten der Dynamik einer Wissensgesellschaft.
Nachdenken ist kein Privileg, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe, die von einer besonderen
Organisation ausgeführt wird: von einer AVANTGARDE.

Sie denkt die künftigen Entwicklungen, probiert neue Theorien und Konzepte. Nachdenken (Reflektion) heißt hier:
VORDENKEN.

So bleibt die Universität notwendig ein Zusammenspiel von
Forschung & Lehre: auf Wechselseitigkeit, in klas­sischer
deutscher humboldtianischer Manier, gegen den (Bologna-)Trend
zur Aus-Bildungsoptimierung.
Aber auf das 21. Jahrhundert adaptiert.

Avantgardistisch agiert die Universität in gesellschaftlich und wissenschaftlich relevanten Themenfeldern. Sie zeigt der Forschung neue Wege, auch und gerade zwischen den Disziplinen. In modernen dynamischen Wissensgesellschaften sind die Probleme undiszipliniert: die Lösungen können nicht von einer Disziplin oder Fachrichtung allein zureichend beantwortet werden.

Folglich lehrt die Universität transdisziplinäres Denken, Navigationskompetenz und Öffnung der Reflektion für neue Konzepte, Methoden, Theorien etc. Denn was sie in der Forschung avantgardistisch erörtert, soll sich auch in der Lehre spiegeln: keine falsche Pädagogik, sondern in medias res: von Anfang an in die relevanten Theorien, Projekte, Themen, um an dem, was einen neugierig macht und intellektuell erregt, zu lernen, was es bedeutet, sich diese Theorien, Wissenschaften, Konzepte etc. anzueignen.

Das ist nicht gegen die fakultären Notwendigkeiten gerichtet, sondern auf eine Öffnung: darüber hinaus.

Lernen folgt der Thematisierung und Neugier, nicht einem Schema.
Man lernt, was man durcharbeitet, weil man es verstehen will. Alles andere
geht in die Gefahr des Auswendiglernens, mit kurzen Halbwertszeiten.


BILDUNG IST TRANSFORMATION.
Wer Universitäten lediglich als Produktionsstätte sieht, denkt in der alten Logik von Produkten: die fertige, beendete Ausbildung, zertifiziert durch eine Urkunde. Die Logik dieser Logik lautet: schneller Durchsatz, kurze Ausbildungszeiten, frühzeitige Spezialisierung (auf Berufe). In einer Wissensgesellschaft scheint das eine notwendige Entwicklung zu sein, da mehr junge Menschen besser ausgebildet werden sollten. Der Trend im Bildungsmarkt geht in diese Richtung. Es ist ein fataler Trend. So gewährleistet diese Bildungseffizienz keine Qualität: man lernt eher nur für die Prüfungen, optimiert seinen Einsatz, hat nach dem Abschluss das meiste wieder vergessen, hat über sich selbst kaum etwas erfahren, seine Kompetenzen und Fähigkeiten nicht kennengelernt, und vor allem: niemals richtig nachgedacht.

Universitäten sind keine Zertifikationsproduktionsstätten, sondern Arenen für die Bildung junger Menschen, die in ihren späteren Positionen die zukünftigen Anforderungen leisten und organisieren: oft die einzigen Arenen, die eine Gesellschaft anbieten kann. Man lernt die Welt und vor allem sich selber kennen. Das Wissen ist ein Entdeckungs- und Arbeitsergebnis, kein abzuarbeitendes Kursprogramm. Man lernt Lernen. Es geht um die Befähigung zu einer minimalen Trittsicherheit, die man im Umgang mit einer komplexen Gesellschaft braucht (Dirk Baecker).

Das Produkt ist kein Zertifikat, sondern eine Transformation junger Menschen, die intellektuelle, persönliche und soziale Erfahrungen machen, die sie für verantwortliche Positionen in der Gesellschaft prägen. Auf die Transformation kommt es an: Bildungsgüter sind Transformationsgüter. Vor allem muss man als Persönlichkeit aus diesem Prozess herauskommen.

So, wie Paul Austers Privatdetektiv, der feststellt, dass er es bei jedem Fall, mit dem er beauftragt wird, gleich mit zwei Fällen zu tun hat: nämlich mit dem Fall, für dessen Aufklärung er bezahlt wird, und mit sich, mit seiner Person und deren Fähigkeit und Unfähigkeit in diesem Fall (wie Dirk Baecker schreibt). So auch die Studierenden – und im Idealfall die Lehrenden:
SIE LEHREN; UND ZUGLEICH SICH MIT – ihr Können, ihre Kompetenz, aber auch ihr Nichtwissen, ihre Inkompetenz. Es geht weniger um die Simulation von Gewissheit, als um Offenheit, sich immer wieder NEU-GIERIG ins Spiel des Wissens und Urteilens zu setzen.

Nicht die Menge der Prüfungen entscheidet über das Produkt, sondern die Qualität der Persönlichkeitsentwicklung, der intellektuellen Neugier und Tiefe, der Reflektion im weitesten Sinne, das Sich-Verlieren in Themen, das Nachdenken über Zusammenhänge, die weit über das Lehrangebot hinausgehen, die Ausflüge in andere Zonen des Wissens, die Demut des Nichtwissens etc. Universitäten sind intellektuelle Anregungszustände.
Nur wenn die Universität sich als diese Anregungsarena versteht, kann sie die neugierigen Geister der Gesellschaft anziehen: sie wollen gefordert werden, nicht über schematische Lehrprogramme, sondern über die intellektuelle Auseinandersetzung mit Themen, die ihren Horizont überwuchern.

Nur in der Differenz, das zu verstehen, beginnen sie, selbständig daran zu arbeiten: zu studieren. Nicht die pädagogisch verdünnende Zubereitung von Lernstoff macht eine Universität aus, sondern der Einbruch des Denkens ins Höchste, was die wissenschaftliche und intellektuelle Auseinandersetzung zu bieten hat.