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Die Mächtigen müssen die Zukunft neu denken lernen...

Text von Johannes Wiek und Sebastian Benkhofer

Interview mit Sebastian Buckup, UW/H-Alumnus, Head of Programming, Global Programming Group; Member of the Executive Committee, World Economic Forum

Du verantwortest beim WEF ein Lernprogramm für Wirtschafts- und Staatsführende. Kurz gefragt: Was müssen diese Menschen lernen?

Ganz einfach: Dass die Ressourcen der Welt endlich sind.
Greta Thunberg war nicht ohne Grund die letzten beiden Jahre bei uns in Davos. Und vielleicht sollten sie auch lernen, dass sie mehr oder überhaupt Steuern zahlen sollten. Weil öffentliche Güter das brauchen und das allen etwas bringt. Aber darüber hinaus haben wir 18 Plattformen mit unterschied­lichen Agenden und Inhalten. Aber die für uns wichtigste Frage lautet: Wie können wir bei diesen Menschen überhaupt einen Lerneffekt erzielen?

Was zeichnet diese Leute aus?

Wir haben es mit sehr erfolgreichen Leuten zu tun, deren Studium weit zurückliegt. Und denen die Menschen um sie herum oftmals mehr Zuspruch als offene Kritik entgegen­bringen. Daher ist aus meiner Sicht die wichtigste Aufgabe, diese Overconfidence zu brechen oder zumindest zu erschüttern. Wir nennen das beim WEF divergence. Unser Motto: “We want people to unlearn.”

„We want to unlearn.“

Wie macht ihr das?

Egal, um welches Thema es geht, das Rausbrechen aus un­hinterfragten Denkmustern ist ein ganz wichtiger Faktor. Da­mit man an den Bruchstellen neu aufbauen kann. Dafür arbeiten wir auf allen Ebenen: kognitiv, viszeral, emotional, mit Simulationen und unterschiedlichen Formen der Zusammenkunft. Dafür kann es sein, dass wir ganz einfach Heads of States und Heads of Governance ins Gespräch bringen, ohne dass ihre Entouragen dabei sind. Oder wir bringen solche Menschen in extrem aufwendige Simulationen. Z. B. wenn wir sie in den Kellerräumen eines Hotels in eine Situation bringen, wie sie sonst Flüchtlinge an geschlossenen Grenzen erleben.
Und zwar so echt und detailliert wie nur irgend möglich. Oder wir machen Filme, für die wir eng mit dem Sundance Institute zusammenarbeiten. Oder wir gehen in die Virtuelle Realität. Oder wir visualisieren globale Prozesse und Veränderungen in ihrem ganzen Ausmaß mit Daten von der NASA. Und die Ergebnisse können und sollen auch verstörend wirken.
Es gibt natürlich immer auch Kritik an dem, was wir da machen.
Die Rede ist dann von „crisis porn“. Einmal gegruselt – dann vorbei und zum nächsten Business Meeting oder Cocktail Em­pfang…  Aber ich glaube, dass man Menschen auch emo­tional berühren muss, um Empathie zu fördern und neue Perspektiven zu eröffnen.

Und dann? Wie kriegt ihr diese Menschen dann in eine gemeinsame Aktion?

Zuerst einmal glauben wir, dass das, was verändert werden soll, gemeinsam erlebt werden muss. First you need divergence – then you need convergence. Und das, was wir dafür machen, ist eigentlich sehr wittenerisch. Auf der konzeptionellen, abstrakten Ebene hat das Ganze drei Kern­elemente, um Lerneneffekte zu erzielen, die dann auch in den Organisationen, die diese Menschen verantworten, Wir­kung entfalten: Erstens müssen wir Vertrauen zwischen klei­nen Gruppen von Stakeholdern aufbauen. Radikal community-based, in direkten Treffen, damit eine Third Culture ent­steht, so wie es Prof. Dr. Kazuma Matoba an der UW/H von je her macht. Zweitens müssen wir dann die unterschiedlichen Communities in Verbindung bringen, und damit Austausch und Vernetzung ermöglichen. Und drittens müssen wir neue, gemeinsame Narrative entwickeln, in denen Leute sich als Akteure fühlen. Nicht als passive Teilnehmer*innen, sondern als aktive Gestalter*innen der Zukunft.

„Krisen sind auch immer gut, weil dann Menschen zusammenkommen und Zukunft neu gedacht werden kann.“

IT’S LIKE EVERYTHING IS CONNECTED
Make use of WEF’s TRANSFORMATION MAPS to explore and make sense of the complex and interlinked forces that are transforming economies, industries, and global issues. The Maps are co-curated with leading topic experts from academia, think tans, and interna-tional organizations. Together, this allows you to visualise and understand more than 250 topics and the connec-tions and interdependencies between them.

Was für Narrative sind das denn?

Eines der besten Beispiele ist das Narrativ der „4. industriellen Revolution“, das weltweit aufgegriffen wurde. Und das neue Narrativ, das wir jetzt aufbauen, ist „the great reset“. Für eine post-covid-Welt. Das ist das wahrscheinlich umfassendste Narrativ, das für die nächsten Jahre zum Andockpunkt und Kern des Forums werden soll. Die meisten unserer Leute sind gerade damit beschäftigt, die entsprechenden Communities aufzubauen. Und unsere Erfahrung zeigt, dass das Neue an den Rändern und Schnittstellen der verschiedenen Communities entsteht, die sich aus ihren jeweiligen Perspektiven mit dem Narrativ beschäftigen.

Und wie wirken diese Narrative?

Es gibt den konstruktivistischen Ansatz, dass geteilte Ideen in jedem Kontext eine ganz wichtige Rolle spielen. Unser Forum hat keine Macht, es wird über nichts abgestimmt. Die einzige Macht, die wir haben, ist, andere geteilte Ideen in die Köpfe der Menschen zu bringen oder Ideen, die in den Köpfen sind, zu ändern. Wir versuchen, in diesem globalen Dorf der Mächtigen ein Gefühl von einer gemeinsamen internationalen Gemeinschaft zu wecken. Dabei gibt es natürlich die Kritik, dass wir die globale Elite fördern. Und das hat natürlich auch seine Schattenseiten. Aber dennoch sind diese neuen ge­meinsamen Narrative die zentralen Impulse des Forums.
Und anders als eine fertige Story ist ein Narrativ eine Ein­ladung, eine Geschichte mit zu schreiben.