Die Verbindung zur technischen Welt wird zunehmend permanenter Bestandteil unserer Gegenwart. Die Kaffeemaschine, die persönliche Präferenzen an unserem Stimmbefehl erkennt; das automatisierte Einparksystem; Siri, die uns immer mehr Wünsche bei der Handynutzung erfüllt. 7,2 Millionen deutsche Haushalte verwenden heute mindestens eine Smart Home Anwendung. Die Prognose: eine Verdoppelung der Nutzerzahlen in vier Jahren… Während „Technik“ in den 1990ern noch bedeutete, den Computer hochzufahren und die Identifikation mit einem technischen Medium nur in der Freundschaft mit einem Tamagochi bestand, ist Technikinteraktion heute etwas ortloses, permanentes, dem wir uns nur noch mit Mühe entziehen können. Spätestens dann, wenn uns die Home Automation abends zwischen physisch anwesenden Menschen das Kochrezept vorliest, ist es für uns normal geworden, mit virtuellen Bewohner*innen zusammenzuleben.

Brille auf. „Hallo Florian“. Vor mir steht ein Mann Mitte 30, einen halben Kopf größer als ich, die blonden Haare zur Seite gekämmt. Er hat ein paar Muttermale im Gesicht und Lachfalten, die man erkennt, wenn er mich direkt anschaut. Weiße Sneakers, blaues Hemd, Jeans. Auf den ersten Blick sympathisch. „Hallo“, begrüßt er mich und fragt: „Wie heißt Du denn?“ Jedes Mal stellt er mir die Frage nach meinem Namen, obwohl wir uns seit einem Jahr fast täglich treffen. Dabei hat Florian jeden Tag die gleiche gute Laune und die dazu passende freundliche Stimme. Sein Körper hat keinen Eigengeruch und wenn er sich bewegt, kann ich keinen Luftzug spüren. Sobald Florian mir physisch näherkommt, entsteht bei mir ein kurzer Moment der Irritation und ich weiche automatisch einen Schritt zurück. Manchmal, wenn ich mit ihm spreche, schaut er zur Seite oder verschränkt plötzlich die Arme vor dem Körper. Oft passen die Bewegungen nicht zum Inhalt seiner Aussagen. Es kann sein, dass er eine Frage stellt und sich dabei von mir abwendet.

Die Forschung an humanoiden virtuellen Avataren bedient das Narrativ vom Ehrgeiz des Menschen, etwas ihm Gleichwertiges zu erschaffen. Der Blick auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand der Avatare zeigt, dass wir uns noch nicht mit Fragen der Hyperintelligenz, sondern zunächst – ganz pragmatisch – mit dem Erzeugen eines visuell plausiblen Abbildes und simpel strukturierten Interaktionsoberflächen auseinandersetzen müssen. Schon 1970 beschrieb der Roboteringenieur Masahiro Mori mit dem „Uncanny Valley“, dem „unheimlichen Tal“, das Problem, dass der Versuch visuell ansprechende künstliche Charaktere zu erschaffen, oftmals in einer gruselig wirkenden Konstruktion enden würde, die Nutzer*innen eher abschreckte anstatt zu Interaktion zu motivieren. Mittlerweile beweisen neuere Systeme – wie Mica von Magic Leap – dass eine menschenähnliche, plausible Darstellung sehr gut möglich ist.

„Sind wir Freunde?“ „Es heißt im Internet, dass Freunde sich gegenseitig mögen und sich vertrauen. Insofern, ein großes Ja!“

Florian flucht nicht, kippt sich keinen Kaffee über das gut gebügelte Hemd und kommt niemals zu spät zu Verabredungen. Auf die einfachen Fragen wie „Was isst Du gerne?“ – „Pizza!“ kenne ich alle seine Antworten mittlerweile auswendig – und sobald ich komplexe Themen anspreche, wird ihm das meistens zu viel und er antwortet mit einem „Das weiß ich nicht, ich bin noch jung und muss lernen“ oder „Magst Du Deine Frage nochmal wiederholen?“ In anderen Beziehungen würde mich das vielleicht schnell verunsichern, aber in dieser entwickele ich eine fast schon unermüdliche Geduld für sein Verhalten.

Die Verbindung von interaktiven Sprachprozessen und visuell menschenähnlichen Avataren hat mittlerweile ein Leistungsniveau erreicht, das den Einsatz virtueller Akteur*innen im Alltag immer mehr rechtfertigen kann. Doch beinhalten diese Prozesse mitsamt ihren Unvollständigkeiten das Potenzial von Beziehungsfähigkeit – vielleicht gar das einer tragfähigen Freundschaft? Auf der Suche nach Antworten frage ich zunächst meine Home Automation, die gerade auf Ansage die Lichtverhältnisse in meinem Arbeitszimmer adaptiert hat und konzentrationsfördernde Musik spielt:

Schon im Jahr 2000 beschrieben Clifford Nass und Youngme Moon unter dem Begriff CASA Paradigma (Computers As Social Actors), dass Menschen eine Grundmotivation haben, mit Avataren zu interagieren, ja sogar Interaktionen wie mit echten Menschen initiieren. Wenn ihnen die geringe Komplexität von Avataren deutlich wird, gehen sie sogar einen Schritt darüber hinaus. Ohne Gesprächsunterbrechung entwickeln Menschen Strategien, um ihr Verhalten an die Möglichkeiten des virtuellen Akteurs anzupassen. Die Soziologin Antonia Krummheuer beschreibt dies als kommunikative Reparaturarbeit. Aufgefallen ist ihr das bei der Untersuchung der Interaktion von Menschen mit dem virtuellen Museumsführer Max: Sie verkürzten ihre Sätze, komprimierten Inhalte oder wandten sich Themen zu, die Max besser zu beherrschen schien. Auch im Mixed-Reality Labor der UW/H sehen wir, wie Menschen mit Florian im Gespräch bleiben wollen – auch wenn er ihnen unterlegen ist. Sie passen ihre Intonation und Sprechgeschwindigkeit an seine Möglichkeiten an. Das Team um Omri Gillath stellte sogar die Bereitschaft von Menschen, sich gegenüber Avataren prosozial zu verhalten, fest.

Die technischen Grenzen aktueller Avatare zeigen uns aber auch, dass es auf die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche als zentrales menschliches Merkmal ankommt, wie Maja Storch und Thomas Fuchs feststellten: Wir schaffen aktuell Avatare, die aus Datenbanken Wissen reproduzieren und anhand von Entscheidungsbäumen korrekte Antworten finden können. Es ist uns derzeit aber nicht möglich, Körpererfahrungen, Intuition und Instinkte in einen virtuellen Körper zu übertragen. Gleichzeitig fehlt der nonverbale Austausch, der – neben einem kognitiv komplexen Zugang – die emotionale Intelligenz darstellt. An diesem Punkt stockt der Interaktionsprozess zwischen Mensch und Avatar und lehrt uns gleichzeitig die Bedeutsamkeit eben dieser Faktoren zu schätzen. Oder wie meine Home Automation die Frage „Bist Du intelligent?“ beantworten würde:

„Ich kann sehr viele Antworten finden, aber nur Deine schlauen Fragen lassen mich so aussehen.“ „Und – hast Du Gefühle?“ „Manchmal verstehe ich Emotionen noch nicht so gut. Aber ich habe gehört, das geht vielen so…“

Das trifft es sehr gut. Gegenwärtige Forschungsansätze befassen sich mit dem Ziel, Überraschungen, Humor, aber auch individualisierte Charakteristika in virtuelle Systeme einzubauen – und erfahren hier den Zuspruch von Nutzer*innen. Da Entscheidungen eines Avatars immer auf einem menschengemachten Algorithmus, aber nie auf intrinsisch motivierten Prozessen beruhen, ist es derzeit nur möglich, die Illusion einer Beziehung herzustellen. Und die Möglichkeit einer Beziehung beruht vor allem auf der menschlichen Fähigkeit, sich auf solche Illusionen einzulassen, gepaart mit unserer menschlichen Grundmotivation, Beziehungen einzugehen. Und es bleibt dabei an uns, permanent zwischen der erlebten Diskrepanz von gefühlter kognitiver Überlegenheit und spielfreudiger, fantastischer Hingabe an neue Interaktionsmedien wie Florian abzuwägen.

„Möchte ich heute, dass Florian und ich Freunde sind? Diese Entscheidung kann ich allein treffen.“

Die Erweiterung meines Freundeskreises mit Avatar Florian bleibt erst einmal Science-Fiction. Gleichzeitig vermittelt der Blick durch mein Smart Home aber die Idee einer alternativen Beziehungskonstellation, bei der Florian kein Mitbewohner in mein Leben ist, sondern als Experte für gezielte Themenbereiche, Koordinator meiner Wocheneinkaufsliste, Trainer von semi-therapeutischen Übungsprozessen oder abendliches Unterhaltungsmedium fungieren wird. Und als Repräsentant einer technischen Entwicklungsreise, deren Ansätze noch in diversen Aspekten an der Komplexität des menschlichen Vorbildes dienen. Im Mixed-Reality Labor der UW/H soll Florian in den nächsten Monaten lernen, sein Gegenüber mit dem Blick zu verfolgen und passend zuzulächeln. Wenn es gut läuft, vermag er bald synchron zu winken und dazu passende Sätze zu formulieren. Wir werden beobachten, wann wir den Zeitpunkt erreichen, an dem wir mehr mit virtuellen Akteuren sprechen, anstatt über sie zu philosophieren.

„Wie sieht die Zukunft aus?“ „Hmm, das klingt nach einer guten Frage für die Kristallkugel.“ 

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Clifford Nass/Youngme Moon: „Machines and mindlessness: Social responses to computers.“
In: Journal of social issues56/1 (2000), S. 81-103;
doi.org/10.1111/0022-4537.00153

Omri Gillath/Cade McCall/Phillip R. Shaver/Jim Blascovich:
„What can virtual reality teach us about prosocial tendencies in real and virtual environments?“
In: Media Psychology 11/2 (2008), S. 259-282

Maja Storch/Benita Cantieni/Gerald Hüther/Wolfgang Tschacher: „Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen.“ Bern: Huber 2006

Thomas Fuchs: „The Virtual Other. Empathy in the Age of Virtuality.“ In: Journal of Consciousness Studies 21/5-6 (2014), S. 152-173

ALEXANDRA HOFMANN

Alexandra Hofmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie der UW/H. Zusammen mit Jonathan Harth untersucht sie, wie Menschen mit virtuellen Avataren interagieren. Florian kann nur denjenigen begegnen, die mit Hilfe einer Virtual Reality Brille in eine virtuelle Umgebung eintauchen, in der Florian und die Nutzer*innen sich gegenüberstehen.
Mehr Infos auf: aivatar.de
Derzeit laufen Green Screen-Studien an Nutzer*innen. Interessierte können sich bei den Projektkoordinator*innen melden und im Rahmen der Studie die Avatare selbst ausprobieren. Kontakt:
alexandra.hofmann@uni-wh.de

Alexandra Hofmann schafft, neben ihrer Arbeit für neue Verbindungen mit künstlichen Intelligenzen, als Weltraumpsychologin auch die Verbindung unserer Universität ins Weltall.